Bedürfnisse von Eltern und Kindern

Der Balanceakt auf Augenhöhe

Warum Bedürfnisse wichtig sind

Bedürfnisse sind essenziell für jedes Lebewesen, sie treiben uns durchs Leben, wir wollen sie immer genügend erfüllt halten. Das beeinflusst unser Wohlbefinden, unsere Entscheidungen und unsere Beziehungen. Doch was passiert, wenn Bedürfnisse falsch verstanden werden oder nicht bewusst sind? Gerade in der Eltern-Kind-Beziehung wird das Thema oft komplex – und Missdeutungen führen schnell zu Konflikten, Machtspielen und (ungewollten) Verletzungen.

Ein Missverständnis steht dabei häufig im Zentrum: die Annahme, dass Bedürfnisse hierarchisch geordnet oder mit Erwartungen verwechselt werden können. Oder auch, dass Eltern aufgrund der Rolle und der Lebenserfahrung festlegen können, welche Bedürfnisse nun die richtigen sind, auf die jetzt eingegangen wird und welche jetzt störend sind.

Dieses Missverstehen der grundlegenden Bedeutung von Bedürfnissen für uns Menschen zerstört die Augenhöhe zwischen Eltern und Kind und hinterlässt Beziehungen, die von Macht und Ohnmacht geprägt sind, statt von Vertrauen und Verbindung.

Was Bedürfnisse wirklich sind

Bedürfnisse sind universell und menschlich. Sie beziehen sich auf grundlegende Zustände, die wir für unser Wohlbefinden brauchen – etwa Sicherheit, Autonomie, Zugehörigkeit oder Liebe. Sie sind weder “egoistisch” noch “aufopfernd”; sie sind der innere Kompass, der uns hilft, in Balance zu bleiben, wenn es uns gelingt, sie genügend genährt und erfüllt zu halten.

Ein Bedürfnis bezieht sich immer auf uns selbst, niemals auf andere! Wenn wir sagen: „Ich habe das Bedürfnis, dass mein Kind gesund ist oder gut in der Schule abschneidet“, dann handelt es sich nicht um ein echtes Bedürfnis, sondern um eine Erwartung oder Forderung. Diese hat oft mit unseren eigenen Wünschen, Ängsten oder gesellschaftlichen Vorstellungen zu tun – nicht mit dem Kind. Aber eben auch nicht mit meinem Bedürfnis, das nur mit mir zu tun hat. So will ich in mir im Vertrauen sein, dass ich irgendwann einmal die Aufgabe als Elternteil anders leben kann, freier. Dazu wähle ich dann die Strategie, dass das Kind „lernt“, alleine durch’s Leben zu kommen.

All zu oft werden dann leider Strategien gewählt die das Kind eben kaum selbständig machen helfen sondern in eine Unterwürfigkeit und von anderen Abhängig oder dagegen rebellierend machen…

Häufige Missdeutungen von Bedürfnissen

Missdeutung 1: Bedürfnisse als Erwartungen maskieren

Beispiel: „Ich habe das Bedürfnis, dass du mir zuhörst.“

Was hier oft passiert, ist eine Vermischung von Bedürfnissen und Forderungen. Das eigentliche Bedürfnis könnte sein: „Ich gehört werden.“ Der Unterschied? Die Formulierung als Forderung setzt das Gegenüber unter Druck. Die innere Haltung mit dem eigenen Bedürfnis hingegen öffnet viele Möglichkeiten zur Erfüllung des Bedürfnisses, angefangen von mit selbst.

Missdeutung 2: Elternbedürfnisse über die des Kindes stellen

Beispiel: „Ich brauche Ruhe, also musst du jetzt still sein.“

Natürlich sind Ruhe und Erholung essenziell, gerade für Eltern, aber auch für Kinder. Doch wenn Eltern das eigene Bedürfnis als absolut setzen, ohne das des Kindes (z. B. nach Nähe oder Spiel) zu berücksichtigen, entsteht ein Ungleichgewicht. Es ist kein Entweder-oder – beide Bedürfnisse sind wichtig und verdienen echte Anerkennung und Würdigung. Nicht zwingend in jedem Moment deren Erfüllung.

Missdeutung 3: Kinderbedürfnisse romantisieren oder ignorieren

Beispiel: „Kinder brauchen doch immer nur Liebe.“

Natürlich ist Liebe zentral. Aber Kinder haben vielfältige Bedürfnisse: nach Autonomie, Struktur, Verständnis. Wird ein Bedürfnis überhöht, bleiben andere oft auf der Strecke.

 

Wie Eltern und Kinder auf Augenhöhe kommen können

Ehrliche Selbstreflexion:

Fragen Sie sich: Was ist mein wirkliches Bedürfnis? Was brauche ich, um mich wohl zu fühlen? Wie dringend ist das JETZT oder kann das auch etwas später erfüllt werden? Wie will ich das mir erfüllen? Und was ist möglicherweise eine Erwartung an mein Kind oder meinen Partner?

Die Bedürfnisse des Kindes sehen und respektieren:

Hören Sie zu, ohne direkt zu bewerten oder Lösungen zu suchen. Oft äußern Kinder Bedürfnisse indirekt – etwa durch Verhalten, das auf Nähe oder Aufmerksamkeit hinweist.

Benennen Sie die Bedürfnisse die Sie glauben zu erkennen oder erahnen – in der Sprache, die das Kind versteht. Fühlen Sie sich in das Kind ein. Das Kind wird es Ihnen danken, dass es in seinem tiefen Inneren mit seinem Anliegen erkannt wird. Sie müssen noch nicht’s tun ausser da sein und die Bedürfnisse benennen, erspüren und zusammen erleben.

Achtung: „Ich will diesen Schokoriegel“ ist kein Bedürfnis und es geht nicht um den Kauf oder nicht Kauf dieses Riegels. Dies ist oft ein Ausdruck von „ich will auch was zu sagen haben“, es geht meist nicht mal um Süsses (vordergründig schon). Reflektieren Sie mal, wie Sie als Elternteil dieses „Quengel-Verhalten“ des Kindes durch nicht Eingehen und nicht anerkennen dieses Bedürfnisses fördern.

Es ist okay, wenn nicht jedes Bedürfnis sofort erfüllt werden kann, oder nicht auf „diese eine Art“. Wichtig ist, dass beide Seiten gehört und wertgeschätzt werden und die entsprechenden Bedürfnisse zeitnah in mehr Erfüllung kommen.

 

Das Ziel: Beziehung statt Machtspiele

Wenn Bedürfnisse verwechselt oder missverstanden werden, entstehen Machtkämpfe und das Gefühl, dass einer verliert, während der andere gewinnt. Doch eine gesunde Beziehung funktioniert anders: Sie basiert auf gegenseitigem Respekt und dem Willen, eine Balance zu finden.

Eltern und Kinder, die sich auf Augenhöhe begegnen, erleben weniger Konflikte und mehr Nähe. Und das beginnt damit, dass wir unsere eigenen Bedürfnisse ehrlich anerkennen – ohne sie über die des anderen zu stellen.

Wenn Sie jetzt denken, „Das geht nur, wenn die Kinder gross sind“ stiehlt sich womöglich gerade aus der Verantwortung und stell sich gleich auch noch selbstgerecht über seine Kinder…

 

Zum Schluss: Ein Plädoyer für Klarheit und Verbindung

Bedürfnisse sind kein Kampf um Priorität. Sie sind ein Ausdruck unserer Menschlichkeit und sollten als solche behandelt werden – bei Eltern wie bei Kindern. Wenn wir lernen, sie klar zu benennen und anzuerkennen, ohne Machtspiele und Schuldzuweisungen, schaffen wir die Grundlage für echte Beziehungen voller Vertrauen und Respekt. Denn letztlich geht es nicht darum, wer recht hat – sondern darum, dass beide gehört werden und die Bedürfniserfüllung stattfinden kann und wird.

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