Kritik

Unter Kritik versteht man die Bewertung eines Gegenstandes oder einer Handlung anhand eines Massstabes. Das steht jedenfalls so auf Wikipedia.

Bei Kritik legt man also Massstäbe an und vergleicht, ob etwas zu kurz oder zu lang, gut oder schlecht ist.

Es gibt da zwei Seiten bei der Kritik: Kritik geben ist die eine Seite. Die andere Seite ist Kritik erhalten.

Das kann bedeuten, dass beide dieselbe Bewertung haben oder eben auch eine unterschiedliche Bewertung haben.

Dann kann man schnell an den Kern der Kritik geraten, meistens ohne es zu merken: denn der Massstab der anderen Seite wird in Frage gestellt. Oder die Messmethode oder wenn das auch nicht hilft, wird die andere Seite als Ganzes in Frage gestellt.

Der Massstab als Bezugssystem für die Bewertung ist also von entscheidender Bedeutung! Und es gibt unterschiedliche Arten von Massstäben.

Nein, ich rede nicht von Massband oder Lineal und so weiter…

Zum einen gibt es mehr oder weniger klar definierte und ebenso mehr oder weniger kommunizierte, gesellschaftliche und soziale Massstäbe. Was sich gehört und was nicht. Wie man sich verhält und wie nicht. Was schön ist und was nicht.

Man merkt sofort, dass ausser Gesetzen und Vorschriften oder Normen, recht viel nicht so klar definiert ist und wir das dennoch irgendwie in uns haben.

Man merkt auch, dass das auch kulturell geprägte Unterschiede hat. Was hier gilt, gilt dort nicht oder zumindest anders.

Das ist die Art von Massstäben, mit denen ich im Alltag am meisten konfrontiert bin.

Aus der Sicht und mit dem Bewusstsein eines menschlicheren Miteinanders gibt es einen anderen Massstab.

Der Massstab bin ich, genauer gesagt: der Erfüllungstand meiner Bedürfnisse. So beurteile ich mich selbst und nicht die andere Seite oder die Handlung oder das Ergebnis der Handlung (zum Beispiel den Gegenstand wie in der Definition von Wikipedia).

Schauen wir uns die Auswirkungen dieser beiden Arten von Massstäben – und letztendlich der Kritik – an.

Die Auswirkungen von sozio-kulturellen Massstäben.

Weil sie meistens unscharf und auch unpersönlich sind, kann solche Kritik meistens nicht gut ankommen. Es kommt oft als Gemecker an. Widerstand entsteht, weil… das ist ganz anders gemeint gewesen, du hast den falschen Massstab genommen und überhaupt verstehst du falsch, das ist nämlich so…

Es führt zu nichts, oder wie schon Shakespeare sagte: “Viel Lärm um nichts”.

Ganz abgesehen davon, dass wenn ich jemandem sage, was richtig oder falsch war, ich mich damit ziemlich über die andere Person erhebe und mir anmasse von oben herab über sie zu urteilen. Und dies nach Massstäben, die ja nicht einmal meine sind… Wie schräg ist das denn? Ich verstecke mich vielleicht noch hinter anderen, die dasselbe sagen und so weiter.

Das alles führt aus meiner Erfahrung zu einer aktiven Erosion von Beziehungen und Abbau von Vertrauen.

Die Auswirkungen von persönlichen Bedürfnis-Füllständen als Massstab.

Auch das kann manchmal unscharf sein oder zumindest am Anfang schwer nachvollziehbar. Doch es ist klar persönlich. Kritikempfangende, die diesen Massstab nicht kennen, können ihn auch nicht hören. In ihren Ohren hören sie genau dieselbe Kritik wie bisher. Wenn ich also von meinen Bedürfnis-Füllständen spreche, sollte ich mir die Mühe machen, mich so auszudrücken, dass die andere Seite mich hören kann und das möglichst nicht gegen sich verwendet.

Und es hat noch eine wichtige, grosse Dimension darin: Es ist recht einfach, unerfüllte Bedürfnisse zu äussern, da, wo sie sich gerade bemerkbar machen. Doch in der Regel sind wir dann meistens erst beim Symptom. Weil die Ursache tiefer liegt. Das, was mir wirklich wichtig ist, was mich wirklich betrifft, ist etwas Grösseres und etwas Verborgeneres. Das braucht Zeit, bis ich das bewusst habe, das erfordert einen Prozess, um dort hinzukommen.

Meistens ist das, was mir dann bewusst wird, so persönlich und hat mit der anderen Seite wirklich nichts zu tun (ausser, dass sie mich darauf aufmerksam gemacht hat), dass ich mit Kritik nichts mir wirklich Wichtiges verändern kann. Auch wenn ich die Kritik „formal-GFK-isch“ ausdrücke. Ich bin dann nämlich an einem ganz anderen Ort mit mir! Verbindung oder Beziehung ist dann meist wichtiger als Kritik…

Somit…

So ist es also nicht “Du bist zu laut, sei jetzt leise”.

Auch nicht “ich habe zu wenig Ruhe” und die andere Seite sollte etwas tun.

Auch nicht wirklich “ich brauche mehr Ruhe” und gehe in einen anderen Raum.

Darunter könnte so etwas sein wie: Mehr Achtsamkeit mit meiner Energie und Balance, damit ich früh genug reagieren und mich steuern kann, damit es keine unerwarteten Reaktionen gibt. Und jetzt, wo ich das bewusst habe, merke ich, wie es gerade ruhig und neugierig in mir wird über das, was da läuft.

Dann wäre es vielleicht nicht einmal mehr Kritik, sondern etwas Verbindendes…

Also überprüfe, wenn dich etwas stört:

  1. Ist dein Massstab gerade “etwas, was man sollte”?

  2. Welches Bedürfnis meldet sich in dir?

  3. Magst du dir Zeit nehmen für dich und tiefer graben, was unter dem ersten Symptom-Bedürfnis liegt?

  4. Und dann, mit der tieferen Bewusstheit, die Situation noch einmal anschauen und in dich hinein hören? Und neu überlegen, was jetzt am Sinnvollsten ist?

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