Sei kein Projektor !

  • Du weisst, er ist immer so genau, alles muss nach seinem Kopf gehen, so engstirnig!
  • Du bist immer so laut, kannst du nicht auch mal ein Gespräch anständig führen?
  • Räum endlich dein Zimmer auf, das ist ja ein Saustall sondergleichen. Bei uns haben wir auf jeden Fall Ordnung!
  • Oder auch: Er ist so ein toller Typ, er ist so freundlich, zuvorkommend, lächelt immer, hilfsbereit.

In den ersten drei Beispielen wird ausgedrückt, was nicht passt: ‘Er ist zu genau, laut, unordentlich.’ Im vierten Beispiel ist es eher umgekehrt, es wird gesagt, was ausserordentlich toll ist: ‘Er ist so freundlich.’

Natürlich sind das alles Bewertungen, Urteile, die wir über die andere Person äussern, ja sogar die Urteile, die wir über die andere Person haben. 

Wenn wir nun auch noch den psychologischen Aspekt der Projektion berücksichtigen, geht es noch viel mehr ans Eingemachte: Es sind Urteile über uns selbst!

Wir erlauben uns vielleicht nicht, laut und unordentlich zu sein – daher fällt es uns natürlich auf, wenn andere nicht unseren Erwartungen und unserem Standard entsprechen. Sie verhalten sich nicht so, wie wir es von uns selbst erwarten würden. Vielleicht mögen wir es auch gerne genau, aber wir lehnen es ab, als Spiesser zu gelten, und haben auch schon mal sowas wie “Du bist ein Pedant” gehört. Also lehnen wir eine gewisse Genauigkeit ab – bei uns und bei anderen.

Ebenso, wenn der andere so toll ist. Natürlich bin auch ich freundlich, oder genauer gesagt: Ich identifiziere mich auch mit “ich bin freundlich” . Aber ich erlebe auch viel Frust, Lustlosigkeit usw. 

Wenn ich das dann unbewusst ins Zusammenleben mit anderen Menschen trage und sich eben nicht wirklich die Freundlichkeit ausdrücke, wird das leider eher unbewusst Distanz schaffen. Dann erlebe ich weniger Lebensfreude und sehe diese dann bei anderen – manchmal sogar neidisch, aber auch bewundernd.

In dem neuen, gelebten Paradigma ist die Projektion etwas Zentrales. Solange ich bei anderen Menschen und in meinem Urteil über ihn gefangen bin, solange kann ich meine eigenen Bedürfnisse nicht wirklich erkennen. Ich bin quasi noch immer bei den Erwartungen an andere. Das kann ich schon durch die Verwendung von Worten in der Gewaltfreier Kommunikation ausdrücken, auch durch Ich-Botschaften über meine Gefühle und Bedürfnisse – aber Achtung, das ist zu oberflächlich und wird auch doppelsignalig sein.

Es geht doch um mich – ich reagiere ja. Es geht nicht um das Gegenüber!

Ich darf mich bewusst fragen: Was sehe ich im anderen? Was interpretiere ich? Was berührt mich so an dem, was ich mit dieser Person erlebe? Das hat nicht so sehr mit der anderen Person zu tun, sondern mehr mit mir als erlebende Person. Weil es in mir resoniert, etwas in Resonanz tritt, etwas anklingt. Das hat mit meinem eigenen Leben zu tun, meinem Rucksack an Erfahrungen, Prägungen und erlernten Verhaltens- und Reaktionsmustern. Andere Menschen reagieren vielleicht ganz anders in derselben Situation.

Ja – jetzt könnten Gedanken in dir aufkommen, wenn du das liest. Widerstände, die sagen: “Nein, andere erleben dasselbe” oder gar “Nein, das sehen alle so”.

Das mag so aussehen, aber Achtung: Dahinter verbirgt sich ein weiterer Mechanismus. In dem Moment, in dem uns etwas nicht gefällt, wenn wir über andere urteilen, möchten wir recht haben. Es wäre ja auch peinlich, wenn wir zugeben müssten: Entschuldigung, ich habe gerade recht heftig und wirr über dich geurteilt… Also suchen wir Verbündete, andere, die genauso denken wie ich. Das bestätigt dann mein Urteil über den Anderen und gibt mir recht. In all diesen alltäglichen Beispielen, die ich am Anfang gezeigt habe, ist es einfach, Verbündete zu finden: Das sind gesellschaftliche Muster und Prägungen, die sehr ähnlich in uns leben – aber nicht identisch. In diese „intimen“ Details gehen wir in unseren Gesprächen jedoch nicht, wir bleiben an der beurteilenden Oberfläche hängen, wenn wir darüber reden.

Also: Es hat mit mir zu tun. Was erlaube ich mir nicht? Im Negativen, “weil es mir nicht gefällt”, oder im Positiven, “weil ich es halt nicht so gut kann”. Was ist meine Überzeugung, die ich gerade erwartungsvoll urteilend dem anderen um die Ohren schlage?

Welche Glaubenssätze, Muster und Prägungen stecken dahinter? Wenn ich diese starren Strukturen als lebendige Bedürfnisse verstehen würde, welche Ideen gäbe es, um sie zu erfüllen? Dafür brauche ich nicht das Gegenüber, denjenigen, über den ich urteile. Das liegt ganz bei mir. Mein Prozess, meine Heilung.

Also: Jedes Mal, wenn du in dir Spannung spürst, Unwohlsein, Irritation, etwas Komisches, ein unangenehmes Gefühl: STOP. Werde dir bewusst, dass es DU bist und du projizierst. Und dann gehe tiefer in dich hinein, lasse den Anderen frei, er hat dir lediglich gerade geholfen, diesen Prozess zu machen. Lasse also den konkreten Fall in diesem Moment, diesen Moment, los und gehe in deine Lebensmuster.

Das wird dich wirklich verändern! Es wird dich wesentlich weniger treffen, du wirst kraftvoller und freudvoller durchs Leben gehen – und eine wesentlich höhere Beziehungsqualität erleben.

 

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